„Die Glastüren schwangen auf und zu, wieder und wieder. Jedes Mal, wenn jemand das Kaufhaus verließ, jedes mal, wenn es jemand betrat. Heute war Samstag, das Kaufhaus voll wie sonst nie, aber Alfred hatte den Drang nicht ignorieren können.“
Er begann zu zittern und das Buch drohte ihm aus den Händen zu rutschen, doch er umklammerte es umso fester, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Mit klammen Fingern blätterte er die Seiten um und wagte es kaum, die Augen auf die schmalen dicht gedrängten Sätze zu richten. Ein paar Seiten weiter war zu lesen:
„Vor ihm lag ein langer, dunkler Gang, dessen grabesähnliche Stille nichts von dem sprühenden Konsumleben verhieß, welches sich nur wenige Meter Beton entfernt von Alfred abspielte. Die einzige Beleuchtung dieses Ganges waren vergilbte Neonröhren – die eine oder andere defekt – alle hypnotisch brummend, wie ein Stock elektrischer Bienen, die darauf warteten, zuzustechen.“
Oh Gott, wie ist das möglich, flüsterte Alfred. Es war schwer, das Offensichtliche zu Akzeptieren, aber das Verleugnen von Tatsachen war ihm gezwungenermaßen fremd geworden.
In dem Buch stand nichts Geringeres geschrieben als die Geschichte seiner Erlebnisse, angefangen bei der Observierung des Kaufhauseinganges, bis hin zu dem riesigen Raum der endlosen Treppen – und allem, was danach kam. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diesen Text zu lesen. Satz für Satz hallten die Erinnerungen in seinem Kopf nach, wobei er feststellen musste, wie trügerisch das Gedächtnis war, da er sich an manches nicht im Geringsten erinnern konnte.
Mitnuten des gehetzten Lesens vergingen; Alfred Pupillen huschten hin und her und immer wieder musste er schlucken.
Sein Herz schlug wie wild, denn mittlerweile war er fast bei der Gegenwart angelangt. Erschüttert durchlebte er die Begegnung mit dem seltsamen Mann im Frack ein weiteres Mal, einerseits in seiner Erinnerung und andererseits in seiner Fantasie, die, durch die prosaische Sprache des Textes angeregt, die betreffende Szene neu auf der Bühne seines Geistes aufführte.
„Auf dem Tisch lag ein dünnes, unscheinbares Buch, welches ihm bisher überhaupt nicht aufgefallen war. Hatte es eben überhaupt dort gelegen? Neugierig schlug er es auf.
Und las die ersten Zeilen.“
Hier endete die aktuelle Seite und er musste den Impuls unterdrücken, sofort umzublättern, denn wer weiß, was ihn auf der nächsten erwarten würde? Alles jenseits dieser Stelle des Buches war die Zukunft und obwohl Alfred kein gottesfürchtiger Mensch war, verspürte er dennoch einen kalten Schauer er Ehrfurcht bei dem Gedanken, in der eigenen Zukunft lesen zu können.
Er atmete tief durch und tat es trotzdem.
Die Seite war leer. Unschuldiges, reines Weiß.
Ebenso die nächste und übernächste – der ganze Rest des Buches, das keine Seitenzahlen besaß, war bar jeden Inhaltes.