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Test

Dear Esther

12.10.2009 | 21:42 Uhr | von Lamarr
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Seite 1 | 7 Kommentare
   
Nachdenklich blicke ich auf das verlassene Haus vor mir. Zu meinen Füßen branden unermüdlich die Wellen ans Ufer, an welches ich gestrandet bin – für immer. Einzelne Möwen kreisen über der Insel und ihr atonales Geschrei ist das Einzige, was mich davon überzeugt, dass ich nicht träume.
Bedächtig schreite ich zum Haus, dessen Tür offen steht und an dessen karge Wände sich der brüske Nebel klammert…




Wäre der Protagonist von „Dear Esther“ eine Figur in einem Roman, so würde er vermutlich auf diese Weise seine ersten Eindrücke der Insel beschreiben. Dem Spieler fällt dies nicht leicht, denn wenn man zum ersten Mal die eben beschriebene Szenerie durchlebt, fehlen einem glatt die Worte. Solch eine dichte, intensive Atmosphäre hat man bis dato noch nicht einmal in einem Vollpreisspiel gesehen, geschweige denn, in einer Mod. Mit den ersten Schritten, die man geht, beginnt eine melancholische Klaviermusik, zu der ein exzellenter Sprecher, welcher die Gedanken der Spielfigur wiedergibt, einen Text vorträgt. Dieser stimmt nachdenklich und zieht einen sofort in seinen Bann…

Was ist auf dieser Insel geschehen?

Stück für Stück wandert man durch die verlassene, karge Insellandschaft, die perfekt durch den einzigartigen Klavier-Soundtrack untermalt wird. Immer wieder meldet sich der Sprecher zu Wort und nach und nach entfaltet sich eine komplizierte, tragische Geschichte, die einem nicht mehr loslässt. Zentrum dieser Erzählung ist ein Autounfall, in den mehrere Personen verwickelt waren und bei dem es Tote gab.

Aber kann man dem Sprecher trauen?

Immer wieder verstrickt er sich in Widersprüche und argumentiert in einer Art und Weise, die an dem Wahrheitsgehalt der geschilderten Geschehnisse zweifeln lassen.



Die Insel gibt keine Antworten, außer dem stetigen Plätschern der Wellen und dem Kreischen der Möwen. Doch man spürt, dass hier etwas lebendig ist, was man weder fassen noch sehen kann. Man spürt es bei der Durchquerung des Canyons kurz nach dem Verlassen des ersten Hauses und als man durch die dunklen Höhlen am Strand kriecht, wird der Verdacht zur tödlichen Gewissheit: Man ist nicht alleine auf der Insel. Genau hier, in diesem engen, dunklen Schacht, ist einem eine unsagbare Wesenheit dicht auf den Fersen, direkt hinter einem… Ruckartig dreht man sich um.

Nichts.

Nur das geheimnisvolle Gluckern von weit entferntem Wasser. Das Pfeifen des Windes. Schweigen und Dunkelheit. Und diese beunruhigenden Zeichnungen an den Wänden – chemische Formeln, Schaltpläne, Organismen – die ein weiteres Puzzleteil eines großen, fatalen Rätsels ist, welches die Insel beherbergt.

Waffen oder Gegner gibt es nicht. Auch tragen sich, nüchtern betrachtet, keine außergewöhnlichen Geschehnisse zu. Die einzige Aufgabe, die sich dem Spieler stellt, ist das Erforschen der Insel auf einem vorgegeben Pfad. Dennoch durchlebt man mehr Spannung und mehr Emotionen als bei den meisten anderen Mods, denn das wirklich Entscheidende bei Dear Esther spielt sich im Kopf des Spielers ab. Er wird zum Denken angeregt und ist aufgefordert, sich seine eigene Interpretation der Geschichte zu konstruieren.

Deswegen lassen sich die Qualitäten dieses spielerischen Kunstwerks nicht mit rationalen Kriterien fassen – Dear Esther entzieht sich einer streng logischen Betrachtung, da es die Bedeutung des Mediums „Computerspiel“ auf eine neue, transzendente Ebene hebt. Das Interagieren, welches normalerweise entscheidendes Element bei einem Computerspiel ist, wird hier auf ein Minimum beschränkt, denn die Funktion der virtuellen, dreidimensionalen Welt ist hier eine andere:

Sie dient einzig und alleine dazu, um die Eindrücke, die der Spieler durch die von dem Sprecher erzählte Geschichte erhält, in visueller Form zu unterstützen. Wenn man genau auf das Erzählte achtet, wird man feststellen, dass einige Textpassagen durch die Form und Erscheinung der Landschaft illustriert werden. Im einfachsten Fall sind das chemische Formeln für Alkohol an den Felswänden, welche darauf hindeuten, dass der Verursacher des in der Geschichte zentralen Unfalls möglicherweise betrunken war.



Diese Tatsache macht den wahren Wert von Dear Esther aus: Die klassische Tugend von Lyrik und Dichtung, nämlich dass die Form den Inhalt unterstützt, wird hier in ein grafisch-interaktives Medium transferiert und bravourös umgesetzt. Es ist so, als würde man ein Buch lesen und dabei das Gelesene hautnah miterleben. Man könnte dem entgegensetzen, dass dies bei einem Film ähnlich ist, aber das Maß an Bewegungsfreiheit, welches das Medium Spiel bietet, macht hier einen entscheidenden Unterschied – man gibt sich selbst das Tempo vor und hat das Gefühl, auf der Spur eines Geheimnisses zu sein, welches man Schritt für Schritt aufdeckt; in gleichem Maße, wie man Schritt für Schritt die Insel erkundet.

Diese eben dargelegte Verknüpfung von erzählter Geschichte und graphischer Gestaltung der Spielumgebung spielt sich auch auf tieferen Ebenen ab: Beispielsweise ist der „Alkoholaspekt“ nicht nur durch Symbole an der Wand vertreten, sondern an einer Stelle sogar durch miteinander verknüpfte Felsformationen im Meer, die erst aus der Luft ihre Anordnung offenbaren und so als stilisiertes Ethanol-Molekül erkennbar werden.

Diese einzelne Erkenntnis stellt ein weiteres Mal die Glaubwürdigkeit der erzählten Geschichte in Frage, denn so drängt sich die Annahme auf, dass die Insel möglicherweise gar nicht real ist, sondern nur in der Phantasie des Protagonisten existiert – eine derartige Felsformation kann ja nur sehr unwahrscheinlich in der Wirklichkeit entstehen.

Damit holt die Mod alles, was sie dem Spieler vorführt, auf eine figurative Deutungsebene zurück, was ebenfalls etwas Besonderes ist: Praktisch jede Mod nimmt für sich in Anspruch, eine tatsächliche Geschichte in einer in sich geschlossenen Welt zu erzählen. Dear Esther hingegen suggeriert dem Spieler, dass es eine „Welt außerhalb der Welt“ geben könnte, was im Falle der Mod natürlich offensichtlich ist, sich aber als ein Kernthema der Philosophie entpuppt, sobald der Spieler es auf seine eigene Realität überträgt – eine Frage, die sich schon Platon in der Antike mit seinem Höhlengleichnis stellte und die heute durch Filme wie „Matrix“ aktueller ist denn je. (Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Was ist real?)



Ein weiterer sehr interessanter Ansatz in Dear Esther ist, dass die Geschichte in multiplen Erscheinungsformen zu Tage tritt: An jeder Stelle, wo die Audioeinspielungen ausgelöst werden, gibt es drei verschiedene Versionen des gleichen Textes, die zufällig ausgesucht werden. Das bedeutet, dass man, wenn man die Mod mehrmals spielt, immer andere Kombinationen zu hören bekommen wird. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Interpretationen, die sich alle im zentralen Nexus des Autounfalls kreuzen. Als „Geschichte in der Geschichte“ wird darüber hinaus von einem Einsiedler erzählt, der vor langer Zeit auf der Insel lebte. Mit vorschreitender Spieldauer zeigen sich Parallelen zwischen ihm und dem Protagonisten auf, die hier, in ihrer Gänze ausgebreitet, den Rahmen sprengen würden. Sowieso sind die erzählerischen Hintergründe so komplex, dass sie hier nicht weiter erörtert werden – damit könnte man sicherlich Bücher füllen. Gegen Ende der Mod trifft man sogar noch auf Bibelstellen an den Wänden, deren Deutung und Auslegung sicherlich noch weitere Erkenntnisse eröffnen, welche aber dem nicht sehr bibelfesten Autor dieses Textes bislang verschlossen blieben.

So wird klar, wie viel Deutungspotential Dear Esther in sich birgt – Potential, das sicherlich von Spieler zu Spieler unterschiedlich aufgenommen wird. Es ist einfacher, über die Bedeutung der Mod zu sprechen, als über das von ihr vermittelte Erlebnis. Dieses liegt jenseits von dem, was mit Worten erfasst werden kann und muss von jedem selbst erfahren werden.


My ascent is predetermined and forever begun.
- Dear Esther Script
   
 
   
Links:
- Mod-Homepage
- HLPortal ModDB-Eintrag



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